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Ausgangslage

Natur

01 reisfeld

Die schöne Region Casamance im Süden Senegals ist ein Landstreifen von nur gerade 80 km Breite. Sie liegt zwischen der Enklave Gambia im Norden und den Ländern Guineé Bissau und Guineé Conakry im Süden. Der Garten Senegals, wie die Casamance auch genannt wird, ist eine fruchtbare Region und die Bewohner, mehrheitlich dem Jola-Stamm (Kayadj) angehörig gelten als ausgesprochen fleissig und zuverlässig. Es werden Erdnüsse, Früchte und Reis angebaut. Links sehen Sie ein junges Reisfeld im Wald.

In den Wäldern wird noch immer radikal abgeholzt. An verschiedenen Orten herrscht reger Fischereibetrieb. Neben dem weit verbreiteten Handel, existieren auch viele kleinste Handwerksbetriebe. In den Regionen mit Tourismus sind auch Campements (einfache Ferienunterkünfte), Hotels, Bars, Restaurants, und Internet-Kaffees zu finden. Insbesondere in Ziguinchor und Bignona (zwischen Ziguinchor und Albadar) wird traditionelle Musik und Tanz gepflegt.

Arbeitssituation

00 traktor

Die Arbeitslosigkeit wird in Senegal auf 48% geschätzt und ist unter jungen Menschen stark verbreitet. Viele junge Männer suchen ihr Heil in der Auswanderung nach Europa, wobei ihre Vorstellungen von Europa nichts mit der Realität zu tun haben.

Der Projektleiter Kurt Koch hat in seinen Erkundungsreisen in den Jahren 2004 bis 2008 und insbesondere seit Januar 2009, seit dem er in der Casamance arbeitet, solide Kenntnisse über die Verhältnisse in Senegal erworben, welche für das Projekt wertvoll sind.

Handwerkliches Know-how, Produktionsmittel

Das handwerkliche Know-how in der Holzverarbeitung in Senegal eignet sich gut für die Herstellung herkömmlicher Produkte, wie Schnitzereien und Trommeln. Für die Herstellung von Möbeln wird oft auf traditionelle Methoden zurückgegriffen, die nicht für die Fertigung moderner Produkte geeignet sind. Es werden kaum neue Produkte oder Herstellungsmethoden entwickelt. Zudem werden Werkzeuge und Maschinen verwendet, die aus der Kolonialzeit stammen und nur noch beschränkt funktionstüchtig sind. Werkzeuge und Maschinen für Wartung und Reparaturen von Holzbearbeitungsmaschinen sind kaum zu finden.

Moderne Produkte wie Möbel und Holzbestandteile für den Innenausbau, die sehr gesucht sind, werden importiert. Doch diese Produkte halten meist dem feuchten Klima nicht stand und altern schon in einer einzigen Regenzeit massiv. Es fehlt das Know-how, moderne Produkte für das tropische Klima im Süden von Senegal zu konstruieren und herzustellen.

Waldwirtschaft

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In Senegal wird in langen Prozeduren zeitaufwändig gekocht. Als Heizstoff dienen Holz und Holzkohle, die im Norden von Senegal immer weniger verfügbar sind. Oder es wird mit Gas, das importiert werden muss, gekocht und dies belastet das Haushaltsbudget vieler Senegalesen stark. Abhilfe schaffen könnte der Gebrauch von Kochkisten oder Solarkochern. Riesige Gebiete sind völlig abgeholzt und verödet. Nachhaltige Waldwirtschaftsprojekte müssten stärker gefördert werden.

 

 

02 ausgangslageVielerorts werden Brandrodungen durchgeführt, die sich zu unkontrollierten Waldbränden ausweiten. Auf dem Bild oben sehen Sie eine Brandrodung in der Region von Kafountine. Das Buschwerk wird ausgebrannt, um die Bäume leichter fällen zu können. Auf diese Weise werden riesige Waldflächen zerstört. In der Hauptsaison werden auf Eselkarren, Traktoren und Lastwagen pro Monat ungefähr 3800 m3 Brennholz nach Kafountine gebracht, um Fische zu räuchern (Zählung Mai / Juni 2010).

 

 

Ungenutzte Chancen

Nebst Erdnüssen und Baumwolle werden Reis, Gemüse und Früchte angebaut. Der Anbau von Mangos beispielsweise ist weit verbreitet. Es bestehen jedoch kaum Konservierungsmöglichkeiten der exzellenten Früchte, so dass diese nur während einer kurzen Periode im Jahr als Nahrung dienen. Trocknungsanlagen könnten die Situation verbessern.

Energieversorgung

„Senelec", die senegalesische Gesellschaft für Energieversorgung produziert Strom mit grossen Dieselgeneratoren. Stromausfälle finden in der Regel täglich statt und nicht selten dauern sie tagelang. Die schlechten Hochspannungs-Leitungsnetze sind ein wichtiger Grund dafür. Die Stromausfälle werden als vollkommen normal hingenommen. Nur Wenige stören sich daran.

Die Sonne scheint fast jeden Tag und in einigen Gegenden bläst reichlich Wind. Die Bedingungen für erneuerbare Energiegewinnung sind geradezu ideal.

Gesundheit

Die meisten Menschen sind äusserst einseitig ernährt. In der Regel isst man in der Casamance hauptsächlich weisses Brot und den billigsten (meist amerikanischen) Importreis, der kaum nennenswerte Vitalstoffe enthält. Früchte und Gemüse fehlen weitgehend auf dem Speisezettel. Diese Ernährungsweise schwächt das Immunsystem. In Senegal ist es Tradition, dass der Arbeitgeber für die Verpflegung der MitarbeiterInnen aufkommt. Diese müssen sich mit dem Nötigsten zufrieden geben.

Die MitarbeiterInnen sind insbesondere während der Regenzeit oft krank, nicht zuletzt, weil sie mit Vorliebe Brunnenwasser trinken, das meist in einem bedenklichen Zustand ist. Zudem fehlt das Geld für eine medizinische Grundversorgung. Es ist für Senegalesen völlig normal, an Zahnschmerzen zu leiden bis der Schmerz nachlässt; nicht selten werden aus Zahnschmerzen ernsthafte Infektionen. Auch kleinste Verletzungen führen zu hartnäckigen Infektionen, weil sie nicht behandelt werden. Es kommt vor, dass junge Menschen ohne jede medizinische Behandlung an einer Krankheit wie Malaria sterben. Wer krank wird, legt sich ins Bett und nimmt fatalistisch hin, was auch immer geschieht.

Familie und Staat

Die Familien-Clans sind Gruppen von Menschen mit einem bestimmten Verwandtschaftsgrad. Sie nehmen Einfluss auf sämtliche Lebensbereiche ihrer Mitglieder. Die Clans sind oft über weite Gebiete, sogar mehrere Länder verstreut.

Der Einfluss des Staates ist gering. Der Service publique fehlt weitgehend. Was in der Schweiz der Staat mit den Gesetzen und dem Sozialversicherungssystem anbietet und die Arbeitswelt und der Freundeskreis abdecken, sind in Senegal Familiensache. Dem „Stammältesten" kommt eine besondere Rolle zu. Religiöse Rituale werden in Senegal in der Familie gelebt. Die Familienbande sind äusserst stark und mit denjenigen in der Schweiz nicht vergleichbar. Wer vom Clan ausgeschlossen wird, steht in der Regel schutzlos vor dem Nichts.

Umgang mit Rangordnungen

Neben vielen verschiedenen Ethnien und Sprachen spielen auch kastenähnliche Berufsgruppen, Religion und Länderzugehörigkeit eine wichtige Rolle. Wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter in einem Betrieb durch seine Qualifikation einem anderen vorgesetzt ist, dies aber nicht mit der gesellschaftlich bedingten Rangordnung übereinstimmt, können Schwierigkeiten entstehen. Auch wenn die kulturellen Zusammenhänge für uns Europäer kaum je ganz zu verstehen sind, ist darauf Rücksicht zu nehmen.

Verführerischer Konsum

Globale Konzerne wenden auch in Senegal zur Schaffung von neuen "Bedürfnissen" moderne Marketingmethoden an. Diese wirken hier fataler als in der Schweiz, weil niemand gelernt hat, damit umzugehen. Wie soll eine Jugendliche oder ein Jugendlicher in Senegal lernen, mit den Verführungen der Konsumwelt umzugehen? Von dem wenigen Geld, das vorhanden ist, wird ein beträchtlicher Teil für Mobil-Telefone, Unterhaltungselektronik und motorisierte Fahrzeuge ausgegeben, aber auch für Süssigkeiten, Kaffee und Alkohol. Eingespart wird das dazu notwendige Geld beim Essen, was die Ernährungssituation noch weiter verschlechtert.

Schatten des aufkommenden Tourismus

Männliche Jugendliche haben gemerkt, dass sie leicht zu Geld kommen können, wenn sie sich an europäische Touristinnen heranmachen. Mit unsäglicher Geduld und mit unbeschreiblicher Fantasie suchen sie die Gunst der Touristinnen zu gewinnen. Vielleicht eröffnet sich die Möglichkeit, nach Europa zu gelangen. Manchmal gelingt es, Geschenke oder Geld zu erhalten. Diese Art von "Erwerbstätigkeit" ist noch weiter verbreitet als die Prostitution junger Frauen, doch Parallelen sind durchaus auszumachen und die Ursachen sind ganz ähnlich. Dagegen erscheint die strenge tägliche Arbeit, die kaum fürs Essen ausreicht, wenig attraktiv.

Religion und Rechtssystem

Die Mehrheit der Bevölkerung von Senegal gehört neben den animistischen Einflüssen verschiedenen Richtungen des muslimischen Glaubens an. Die Katholiken machen 5% aus.

In der Casamance ist der Anteil an Katholiken leicht höher als im Norden des Landes. Auch wenn Spannungen unter den Religionen bestehen, ist die Toleranz recht hoch. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss von animistischen Kulten und Überzeugungen, die sich mit muslimischem oder katholischem Glauben vermischen. Beim Rechtssystem gelten das aus Frankreich übertragene Rechtssystem und gleichzeitig das traditionelle überlieferte Gewohnheitsrecht und die Vetternwirtschaft. Um ein Rechtsgeschäft abzuschliessen, z.B. ein Landkauf, müssen offizielles Recht und Gewohnheitsrecht berücksichtigt werden.

Korruption

Nicht zuletzt aus Mangel an bezahlten Stellen sind die staatlichen Funktionsträger auf Motivationsgelder oder Geschenke, wie man in Senegal die Schmiergelder nennt, angewiesen. Korruption ist allgegenwärtig. Ein lockerer Umgang mit der Korruption ist allgemein gebräuchlich. Dagegen helfen nur unsägliche Geduld und einflussreiche und ehrliche Leute, die am richtigen Ort ein gutes Wort einlegen können. Wer keine Empfehlung hat, wird weder im Spital behandelt, noch kommt er zu irgendwelchen Bewilligungen, es sei denn, er zahlt sehr viel Geld. Einzig mit guten Kontakten lässt sich die Korruption umgehen.

Kultur, Lebensfreude

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Musik ist allgegenwärtig. Ob aus dem Radio, an einem Fest oder nur mit Händen geklatscht, sofort schwappt die Lebensfreude über. Dann wird in ansteckender Leichtigkeit getanzt, gesungen, gelacht. In welcher Verfassung die Menschen auch immer sind, jeder ist bei sich und im Moment. Man nimmt sich Zeit für das, was gerade geschieht. Als eine Art von Respekt dem anderen gegenüber, gilt Eile als schlechte Tugend und kommt selten vor. Aus europäischer Sicht ist die Geduld beinahe grenzenlos.

Es ist ratsam, darauf zu achten, möglichst wenig Anlass für Neid zu geben. Damit niemand das Gesicht verliert, wird keinesfalls direkte Kritik ausgeübt. Auf der Strasse nimmt sich das grösste Fahrzeug meist den Vortritt. Wer nicht ausweicht, kommt unter die Räder.

Wer sich über die traditionelle Kultur hinaus betätigen möchte, hat kaum Möglichkeiten dazu. Keine Bücher, keine guten Filme, keine Kurse zu einem interessanten Thema, nur Fernsehen (ab und zu mit lustigen senegalesischen Komödien). In den vorhandenen Video-Clubs regiert der Kommerz mit vorwiegend brutalen Filmen.

Das Leben besteht aus Geschichten. Die Kreativität in den Geschichten ist oft wichtiger als deren Wahrheitsgehalt. Wie Wahrheit empfunden und mit Humor umgegangen wird, kann aus dem europäischen Blickwinkel betrachtet irritieren. Doch entgegen dem Vorurteil, dass alle Senegalesen lügen, gibt es Menschen, auf die man sich verlassen kann und die über ein hohes ethisches Selbstverständnis verfügen.

Konflikt

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Die Casamance ist nicht von militärischen Auseinandersetzungen verschont worden. Der „MFDC" (Mouvement des Forces Démocratiques de la Casamance) will seit 1990 die Unabhängigkeit der Region Casamance von Senegal. Verhandlungen mit der Regierung von Dakar, der Hauptstadt, hatten eine Spaltung des MFDC zur Folge. Vom radikalisierten Teil splitterten sich weitere kleinere Gruppen ab. Die Folge sind bewaffnete Banditengruppen, die Busse, Autos und Dörfer skrupellos überfallen und plündern. 2010 hat sich die Lage etwas beruhigt. Verschiedene Organisationen verfolgen den Konflikt in der Casamance und publizieren auf dem Internet. Auf dem Foto sehen Sie, wie am Collège von Kafountine bei einem Freilufttheater Friedensarbeit geleistet wird.

Schiffsunglück der Joola 2002 

Am 27. September 2002 ist das Fährschiff „Joola", das die Region Casamance mit der Hauptstatt Dakar verband, verunglückt. Das Schiff war mit Autos und Personen vollkommen überladen, hatte einen Motorschaden und ist in einem Unwetter im Meer unweit der Region Kafountine gekentert. Auch die Rettung hatte versagt, offiziell starben 1863 Menschen und nur durch Zufall konnten dank Fischern noch 65 Personen gerettet werden. In den letzten Tagen nach den Ferien wollten viele Studenten, die ihre Familien in der Casamance hatten, zurück an die Universität in Dakar. Es gibt kaum eine Familie in der Casamance, die nicht Opfer zu beklagen hat.